„Ihr Kind hat keinen Bock auf Schule, der Abschluss ist gefährdet und Sie suchen nach Möglichkeiten? Bei uns sind Sie und Ihr Kind herzlich willkommen“, heißt es auf der Internetseite der „Haupt- und Förderschule für soziale und emotionale Entwicklung“ in der Werk-statt-Schule e.V. Die Werk-statt-Schule arbeitet überwiegend mit sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen, viele haben sogenannte multiple Problemlagen wie beispielsweise schulvermeidendes Verhalten und dadurch schlechte oder fehlende Schulabschlüsse, psychische Erkrankungen, Suchtproblematiken oder schwierige Familienverhältnisse. Die Werk-statt-Schule möchte ihnen allen – in einer Atmosphäre der Toleranz und Gleichberechtigung – Orientierungshilfe bieten. Sie sollen in ihren Fähigkeiten, Neigungen und Kompetenzen gefördert und mit ihren Problemen ernst genommen werden. Den jungen Menschen soll die Fähigkeit vermittelt werden, Verantwortung für sich, ihre Mitmenschen und die Umwelt zu übernehmen, um sie auf die Anforderungen einer demokratischen Gesellschaft vorzubereiten.
Dass 90 Prozent der Schülerinnen und Schüler der Haupt- und Förderschule Jungs sind, überrascht nicht wirklich, wird doch seit vielen Jahren in Politik und Wissenschaft die Benachteiligung von Jungen in unserem Schulsystem diskutiert und erforscht. Die Begründungen und Erklärungen unterscheiden sich, aber die Benachteiligung als solche wird kaum in Frage gestellt. Klar ist, dass es insbesondere in den niedrigen Klassenstufen an männlichen Lehrern fehlt, die für die Jungen Rollenmodelle und männliche Bezugspersonen sein könnten. Doch auch an allen weiterführenden Schulen dominieren die weiblichen Lehrkräfte deutlich (Ausnahmen: manche Abendschulen und spezielle Berufsschulen). Schule wird mittlerweile insgesamt als „weibliches Terrain“ empfunden, auf dem typisch männliches Verhalten eher nicht positiv bewertet wird – insbesondere, wenn es während der Pubertät überschießend und unkontrolliert daher kommt. Doch gerade dann sind männliche Bezugspersonen für Jungen besonders wichtig.
Für die 10 Prozent Mädchen der Schule werden seit einigen Jahren mehrmals im Jahr spezielle Mädchen-Projekttage organisiert, bei denen auch externe Fachkräfte hinzugezogen werden. Zeitgleich erhielten die männlichen Schüler bislang ebenfalls ein geschlechtsbezogenes pädagogisches Angebot, aber lediglich von den schuleigenen Lehrkräften. Das Ziel dabei war, die Jungen und jungen Männer in ihrer emotionalen und sozialen Entwicklung gezielt zu unterstützen und sie darin zu fördern, sich und anderen mit Achtung und Wertschätzung zu begegnen, und ihr Selbstbewusstsein und ihre sexuelle Identität dadurch zu entwickeln, dass sie ihre eigenen Interessen erkennen. Es hat sich aber herausgestellt, dass es hier ein sehr großes Problem, eine nahezu unüberwindliche Hürde gibt: Der fast uneingeschränkte und jederzeit mögliche Zugriff auf pornografische Inhalte im Internet. Zumal ein überwältigend großer Anteil der Pornos ein äußerst problematisches Bild von Männlichkeit und Weiblichkeit transportiert, geprägt von Macht, Gewalt, Unterdrückung und Verfügbarkeit. Sind die Jugendlichen einmal durch dieses Angebot vorgeprägt, fällt es ihnen sehr schwer einen eigenen und authentischen Zugang zu ihrer Sexualität zu finden, der zum Beispiel auch Zärtlichkeit, Nähe, Schwäche und Unsicherheit zulässt. Auch durch die Weitergabe und den Austausch der pornografischen Inhalte entstehen nicht selten im Schulalltag Probleme.
Deutlich geworden ist, dass es besonders für die männlichen Schüler bei Angeboten im normalen schulischen Kontext schwierig ist, ihre Bedürfnisse, Ängste oder Wünsche im Zusammenhang mit ihrer eigenen Sexualität zu artikulieren und mitzuteilen. Auch weil die bisherigen Angebote von Lehrkräften durchgeführt wurden, die sie an anderer Stelle bewerten und ihnen Noten geben. Und auch die Lehrkräfte fühlten sich im Zusammenhang mit dem Thema Porno nicht ausreichend geschult. Deshalb sind für das Schuljahr 2020/21 acht „Jungentage“ pro Klasse für insgesamt sieben Klassen geplant. Fünf davon werden sich auf erlebnispädagogische Angebote wie Klettern und Bouldern konzentrieren. Um den Themen Sexualität und Pornografie erfolgreicher begegnen zu können, sollen nun, mithilfe der finanziellen Unterstützung durch Mehr Aktion!, drei weitere „Jungentage“ mit den 7. bis 9. Klassen mit Experten durchgeführt werden, die das erforderliche Know-how für diese Thematik im Umgang mit Jugendlichen mitbringen und eben auch außerhalb des normalen Schulalltags.