Die Lotte-Lemke-Schule ist eine Durchgangsschule in Braunschweig. Hier werden aktuell etwa fünfzig Kinder und Jugendliche im Alter zwischen sechs und sechzehn Jahren unterrichtet, die aus unterschiedlichsten Gründen nicht an Regelschulen beschult werden können. Das bedeutet, dass diese Schülerinnen und Schüler Unterstützung in ihrer emotionalen und sozialen Entwicklung brauchen. Es heißt aber auch, dass das Ziel ist, dass sie ihren Weg möglichst (wieder) in eine Regelschule finden sollen. Deshalb ist der Schulalltag in der Schule in AWO-Trägerschaft darauf ausgerichtet, die jungen Menschen so zu fördern, dass sie individuell gestärkt werden und sich weiterentwickeln können.
Lehrer Michael Werner nimmt das sehr ernst. Dass er Lehrer werden würde, war übrigens nicht zu erwarten, obwohl er einer „Lehrerdynastie“ entstammt. Er ging zuerst seinen ganz eigenen Weg. Nach Tätigkeiten im Metallbauerhandwerk lernte er die Herausforderung durch den Werkstoff Metall kennen und durchaus lieben – und wurde Kunstschmied. Als selbstständiger Metallgestalter erlebte er die Faszination, ein scheinbar unnahbares Material in organische Formen zu überführen. Als er schließlich zu seiner zweiten Berufung fand und Lehrer für Sonderpädagogik wurde, war der Weg zur Schulschmiede „Volle Lotte“ nicht mehr weit.
Es begann mit Projekttagen, an denen er Kurse im Schmieden anbot, die bei den Kindern und Jugendlichen richtig gut ankamen. Was ihnen dabei besonders gut gefiel, war erstmal weniger das Schaffen hochwertiger Werkstücke, als vielmehr die körperliche Tätigkeit an sich. So kam eines Tages ein Kollege von Michael Werner auf den Garagenhof, wo das Projekt stattfand, und fragte einen Schüler, was er denn da gerade herstelle. Der Schüler antwortete, ohne im Hämmern innezuhalten, mit einem strahlenden Lächeln im rußgeschwärzten Gesicht: „Ist doch egal, Hauptsache was Geiles, um drauf rum zu kloppen!“ Das überrascht nicht wirklich, zumal Lehrer Michael Werner das Jahrtausende alte Handwerk des Schmiedens für seine Schützlinge als klares Gegenprogramm zu den Einflüssen der Digitalisierung sieht, denen sie unweigerlich ausgesetzt sind.
So erklärt er beispielsweise: „Entgegen der allgemein verbreiteten Ansicht, dass Digitalisierung das Gebot der Stunde sei, vertrete ich den Standpunkt, dass gerade junge Menschen in praktischen Fähigkeiten gebildet werden sollten. Dadurch, dass Kinder heutzutage mit digitalen Medien groß werden, sind sie häufig schon im frühen Alter durchaus versiert im Umgang mit Computern und Internet, Smartphone und Tablet. Gleichzeitig fehlen ihnen aber auch oft grundlegende soziale Fähigkeiten wie Geduld, kommunikative Kompetenz und Einfühlungsvermögen.“ Und weiter sagt er: „Die Tätigkeit des Schmiedens ermöglicht es Schülerinnen und Schülern in hohem Maße, die unmittelbare Selbstwirksamkeit ihrer Handlungen zu erfahren.“
Nach den erfolgreichen Projekttagen war dann schon bald die Idee geboren, ein benachbartes Gebäude auf dem AWO-Kampus in eine Schmiede umzubauen und einen Oldtimer anzuschaffen. Das AWO-Innovationslabor hat Michael Werner bei der Entwicklung des Projekts unterstützt: „Wir haben gemeinsam einen Business-Plan entwickelt, Partner gesucht und geprüft, wo wir die Schmiede einrichten könnten“, blickt Innovationsmanagerin Ingrid Kleinert zurück. Schließlich wurde ein ehemaliges Löschgruppenfahrzeug, ein feuerwehrroter Opel Blitz aus dem Jahr 1967 angeschafft. Er wurde mit zwei Feldschmieden, Werkzeugen und weiterem Equipment ausgestattet, sodass im Freien, also zum Beispiel auf Schulhöfen geschmiedet werden kann. Die Schülerinnen und Schüler der Lotte-Lemke-Schule können so ihre im Schmieden erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten später auch an anderen Schulen weitergeben und damit auch hier ihre Selbstwirksamkeit im Umgang mit Personen außerhalb des Schonraums Förderschule erleben. Und an den schönen Werkstücken, die in der Schulschmiede „Volle Lotte“ von den Schülerinnen und Schülern inzwischen geschaffen wurden, sieht man, dass es sich lohnt, das „Eisen zu schmieden, solange es heiß ist“.