Im Februar vergangenen Jahres gründeten Studierende die Hannoversche Gruppe des Mentoring-Programms ROCK YOUR LIFE! und starteten nach den Sommerferien mit zwölf Mentoring-Teams durch (wie wir im letzten Newsletter berichteten). Studierende können sich als Mentor*innen qualifizieren lassen und Schüler*innen aus sozial, wirtschaftlich oder familiär benachteiligten Verhältnissen mit einem strukturierten Mentoring-Prozess auf dem Weg in den Beruf oder auf die weiterführende Schule begleiten. Mehr Aktion! wollte einmal live ein Mentoring-Treffen erleben. Am 12. September durfte das Redaktions-Team Schülerin Marlena und Mentorin Franziska begleiten:
Wir warten am Aegi vor dem Sushi-Restaurant, wie vereinbart. Franziska kommt als erste. Als sie erzählt, dass sie gerade ihr Erstes Staatsexamen in Jura absolviert, bin ich nicht überrascht. Passt, denke ich. Marlena kommt mit der Stadtbahn 1 aus Laatzen, wir erwarten sie am Bahnsteig. Mit freudigem Schwung und übers ganze Gesicht strahlend läuft sie Franziska entgegen. Die beiden mögen sich, das sieht man sofort. Sie sind trotz der großen Unterschiede richtig gute Freundinnen geworden. Marlena, blonde Locken, fröhliches Gesicht, Zahnspange, geht in die 9. Klasse einer Kooperativen Gesamtschule. Dass sie erst vor etwa zwei Jahren mit ihrer Familie aus Polen nach Deutschland übersiedelte, merkt man höchstens am rollenden „R“.
„Wir treffen uns seit November letztes Jahr zwei- bis dreimal im Monat“, berichtet Franziska. „Marlena lädt mich auch schon mal zu Familiengeburtstagen ein, ich nehme sie mit in die Uni, die Mensa, zu Infoveranstaltungen. Wir waren auch schon bei Basketballspielen – ein Großteil meiner Freunde spielt Basketball, die hat sie auch alle kennengelernt.“ Franziska hat sich für das Treffen ein lockeres Programm überlegt. Wir gehen Richtung Neues Rathaus. Unterwegs steht Marlenas Mund nicht still, viel gibt es zu berichten seit dem letzten Treffen Ende Juli. Vom Urlaub in Polen mit der Familie, von einem Konzert, bei dem sie mir ihrer Schwester war und das Neueste von zu Hause.
„Wir sprechen viel über Freunde, Familie und Haustiere und was in unserem Leben gerade so passiert“, erklärt Franziska. „Aber auch darüber, was wir später einmal werden wollen und wohin man reisen könnte. Wir reden über Sprache und über das Lernen und über das, was gerade in der Welt passiert. Dabei haben wir ganz unterschiedliche Quellen: Marlena erzählt, worüber in der Schule gesprochen wird, was ihre Freunde bewegt, wovon es Videos im Internet gibt … Ich kann eher von den Dingen sprechen, die ich in den Nachrichten, in der Zeitung und im Radio erfahren habe. Marlena möchte unbedingt das Abitur machen und stellt dazu und zur Uni viele Fragen. Ich frage sie nicht nach ihren Schulnoten, sondern lieber nach den Lehrern und den Mitschülern und welche Fächer ihr Spaß machen. Hausaufgaben machen wir nicht zusammen, aber Organisatorisches wie einen Bibliotheksausweis beantragen und Bücher ausleihen.“
In der Eingangshalle des Rathauses beugen sich Marlenas blonder und Franziskas brünetter Schopf gemeinsam über die historischen Stadtmodelle. Franziska erklärt ein bisschen. Dann wird geschaut, wo was ist, welche Orte beide kennen, wo sie schon gemeinsam waren. Marlena ist zum ersten Mal im Neuen Rathaus. Ob ihr klar ist, dass es sich bei diesem schlossähnlichen Prachtbau um den Sitz des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt handelt und es ein Gebäude im eklektizistischen Stil ist, ist nicht so wichtig. Wir stehen an der Balustrade einer seitlichen Galerie. Marlena freut sich, hier zu sein mit ihrer Mentorin, ihr Gesicht leuchtet: „Schön ist es hier! Wie das Schloss in Disneyland …“ Ihr Blick schweift durch die Weite und Höhe der Zentralhalle. „Willst du da oben sein, Franziska?“, fragt sie schelmisch und zeigt in die Kuppel, wohl wissend, dass ihre Mentorin ein bisschen mit Höhenangst zu kämpfen hat. Und dann entdeckt sie auf den dekorativen Simsen entlang der Wände und Säulen hoch oben einen langsam vor sich hin schrumpfenden blauen Luftballon. Dann noch einen Papierflieger, beide in den Höhen der Halle unbeachtet gestrandet in einem weichen Bett von Staub.
Wir gehen die Wendeltreppe zum Kuppelaufzug hinauf. Der führt in die Rathauskuppel mit Aussichtsplattform auf fast 100 Metern Höhe. Der Kuppelaufzug ist in Europa einzigartig, sein Fahrverlauf bogenförmig der Kuppel folgend – kein einfacher Schrägaufzug wie im Eiffelturm, denn er wechselt während der Fahrt die Neigung. Oben auf der Plattform reden wir über das Mentoring und über die Zukunft. Was bringt dir ROCK YOUR LIFE!, Marlena? „Ich kann’s nicht genau erklären, aber es bringt mir ganz viel“, strahlt sie. Und dir, Franziska? „Es ist sehr schön, für jemanden da sein zu können, der so selbstständig ist wie Marlena. Ich freue mich, zu sehen, wie sie ihre Ziele verfolgt und immer wieder neue Ideen hat. Man merkt, dass man im Studium und im Freundeskreis doch sehr viel Ähnliches hat: ähnliche Meinungen, ähnliche Prioritäten, ähnliche Interessen. Da ist es toll, dass Marlena und ich zwar ähnliche Werte, aber ganz unterschiedliche Blickwinkel haben. Ich habe sie sehr liebgewonnen.“
Wir erfahren noch, dass Marlena zurzeit ein Praktikum im Seniorenheim macht. Doch später will sie mal zur Polizei oder Schauspielerin werden oder was mit Medien machen. Dann trennen sich unsere Wege. Franziska und Marlena brauchen Zeit zu zweit für persönlichere Themen – bei warmen Waffeln in der Altstadt. Rock it, Marlena! Und: Rock it, Franziska. Macht’s gut ihr beiden.
Fotos: Anika Bruns