Das Projekt Lernschritte der Nienburger Tafel fördert mit 18 ehrenamtlichen Mitarbeitern Grundschulkinder an drei Wochentagen. Nach dem gemeinsamen Mittagessen betreut sie elf Kinder aus Elternhäusern mit geringer Unterstützung: Hausaufgabenhilfe, individuelles Fördern in Kleingruppen, Vorbereiten auf Klassenarbeiten – die Tafel Nienburg ist wichtiger denn je. Andrea Walther, Leiterin des Projekts Lernschritte, steht seit jüngster Zeit vor ganz besonderen Herausforderungen. Besonders ist aber auch das Programm selbst – ein Argument für Mehr Aktion!, es finanziell zu unterstützen.
Mehr Aktion!: Frau Walther, warum ist das Projekt Lernschritte so bedeutsam?
Andrea Walther: Das Projekt ist sogar noch wichtiger geworden, denn aktuell haben wir ausschließlich Kinder mit Migrationshintergrund, z.B. aus dem Irak oder Syrien. Die Eltern können aufgrund der Sprache ihren Kindern nicht bei der Schule helfen. Manche Eltern können selbst weder lesen noch schreiben, und auch die Motivation zu Lernen ist bei den Eltern nicht gegeben. Da steuern wir gegen und vermitteln den Kindern, wie wichtig Lesen und Schreiben ist.
Haben sich die Herausforderungen in letzter Zeit verändert?
Ja, vor allem der Lehrermangel macht sich dramatisch bemerkbar. Heute haben die Lehrer kaum Zeit, sich mit einzelnen Kindern auseinanderzusetzen. In diesem Schuljahr habe ich fünf neue Kinder bekommen, vier Zweitklässler und ein Drittklässler, und keines von diesen Kindern kann richtig lesen. Das habe ich so noch nie erlebt. Und dann mangelt es teilweise an anderen Hilfestellungen, z.B. Logopädie, Ergotherapie, aber die Eltern wollen das oft nicht. Oft bilden hier Sprache und Kulturkreis eine Barriere.
Können Sie denn eine positive Entwicklung bei Ihren Projektkindern feststellen?
Ja, durchaus. Im Sommer habe ich in der Zeitung die Veröffentlichung der neuen Abiturienten studiert und tatsächlich die Namen von zwei Schülern entdeckt, die als Kinder bei uns waren. Ich erinnere mich noch, wie schwer es war, diese damals zu motivieren … aber die haben den Dreh hinbekommen. Und ein anderer Schüler ist vor zwei Jahren auf die weiterführende Schule gegangen. Inzwischen ist er, ein Flüchtling aus Syrien, auf dem Gymnasium. Er konnte kaum Deutsch, aber er war lernwillig und hat sich nun durchgebissen. Solche „großen“ Beispiele haben wir noch mehr. Kleinere Erfolgsmeldungen gibt es immer, aber die eben genannten sind die besonderen Erfolge, die wir verbuchen. Und das motiviert dazu uns weiterzumachen.
Was macht Ihr Programm Lernschritte so einzigartig?
Das Besondere an unserem Projekt ist die 1:1-Betreuung. D.h. auf ein Kind kommt eine Lehrkraft von uns. Unter unseren Ehrenamtlichen sind viele ehemalige Lehrer, sogar aller Schulformen, und ebenso sehr engagierte Mütter und Großmütter. Die individuelle Hausaufgabenhilfe und das Üben, was das jeweilige Kind gerade nicht so gut kann, oft abgestimmt mit der jeweiligen Lehrerin der Schule – das ist das Alleinstellungsmerkmal an unserem Angebot. Für das Kind ist gut, dass wir uns ihm ganz allein widmen und es mit allen seinen Problemen ernst nehmen. Das Kind erfährt unsere Wertschätzung und es entsteht eine enge Bindung zu einer festen Lehrkraft als Bezugsperson. Dies hilft den Kindern ungemein.
Planen Sie, Ihr Projekt noch auszubauen, z.B. für mehr Kinder oder weiterentwickelte Angebote?
Die Notwenigkeit mehr Kinder aufzunehmen, ist absolut gegeben. Aber unser Raumangebot ist aktuell erschöpft. Und auch die Lehrkräfte müssen erst mal gewonnen sein, denn wir möchten an der 1:1-Betreuung unbedingt festhalten. Eine Weiterentwicklung ist momentan daher problematisch. Eher geht es darum, die Qualität zu halten oder zu heben, denn es ist hier oft extrem laut und aggressiv. Wir müssen hier unbedingt mehr Ruhe reinbekommen, an Strukturen arbeiten, Konflikte und Provokationen entschärfen, immer wieder an Regeln erinnern – das ist oft auch ein Stück pädagogisch-psychologische Arbeit, die uns auf Trab hält. Weiterentwicklung rückt da eher in den Hintergrund, auch wenn Sie erstrebenswert ist.